Warum den lügen mehr geglaubt wird – Wahrheit und Wahrnehmung

(AK) Jeder benutzt sie täglich oder lässt sich von ihnen blenden. Lügen sind gesellschaftsfähig geworden. Menschen die diese Aussage mit einem vehementen Kopfschütteln quittieren, werden dadurch indirekt selbst zum eindrucksvollsten Beispiel für ihre Richtigkeit. Denn schließlich heißt Wahrheit in erster Linie Wahrnehmung und die Wahrnehmung kann ja bekanntlich schon sprichwörtlich trügerisch sein. Der Schlüssel für die akzeptierte Wahrheit ist nämlich das Vertrauen in die gehörten Aussagen, angefangen im nächsten Umfeld wie der Familie bis zu staatlichen Institutionen. Der Glaube an die Wahrheit ist ebenso fest im menschlichen Verstand verankert, wie das Wissen um die Macht die Lügen verleihen können. Menschen wollen Glauben, denn Glaube bedeutet Zugehörigkeit und zeigt die vorhandene Empathie für seine Mitmenschen. Die blanke Wahrheit suggeriert oft Hoffnungslosigkeit und führt einem die eigene Ohnmacht schmerzvoll vor Augen. Doch ist das Resultat dieser Verhaltensweise wirklich, dass langsam die Fähigkeit verloren geht, Aussagen kritisch zu hinterfragen und auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Dies wird mehr als nur zu einer bloßen Vermutung, wenn man an die Vielzahl an Lügen denkt, die nur zu bereitwillig von den Einwohnern ganzer Länder mit Begeisterung als Wahrheit anerkannt wird.

Foto:  M.E.  / pixelio.de
Foto: M.E. / pixelio.de

Für viele unvergessen bleibt die Erleichterung der Amerikaner nach dem 11.September, als endlich die Erlösenden unerschütterlichen Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak vorlagen und der Krieg, aber noch viel wichtiger der Kampf gegen das ultimative Böse endlich beginnen konnte. Selbst nachdem inzwischen Fakten erbracht wurden, dass diese Waffen

niemals existiert haben, ändert die Wahrheit die Wahrnehmung nicht. Denn wenn auf der anderen Seite nicht das Böse lauerte, wäre die Frage nach dem eigenen Bösen vielleicht nicht mehr weit entfernt gewesen. Doch was bringt Menschen dazu, die Wahrheit freiwillig in Vergessenheit geraten zu lassen und sich vollkommen der massentauglichen Lüge unterzuordnen. Die Psychologie liefert für diese Fragestellung wohl die komplettesten Lösungsansätze. Grund hierfür ist ihre bis ins Detail reichende Untersuchung des Themas, das sowohl die Gesellschaft als auch das Individuum genauestens unter die Lupe nimmt.

Das Weltbild oder ein Bild geht um die Welt

Jeder Mensch verfügt heute über ein relativ detailliertes und unumstößliches Weltbild. Allerdings sind nur wenige bereit einzugestehen, wie subjektiv und individuell dieses Weltbild wirklich ist. Denn jeder, der einmal die Welt bereist hat, hat zumeist erfahren wie sehr Kultur und Traditionen eine Gesellschaft und ihre Einstellungen und Werte prägen können. Einen nicht zu vernachlässigenden Faktor stellen im Kommunikationszeitalter darüber hinaus die Medien dar. Worte und Bilder haben ein Gewicht erreicht, welches nur allzu schnell mit der Wahrheit gleichgesetzt wird. Selbst in der sensationslüsternsten Meldung wird das berühmte Körnchen Wahrheit vermutet und egal, ob wahr oder nicht im Gehirn abgespeichert. Die Intention und persönlichen Erfahrungen der Autoren, welche auch unbewusst miteinfließen, treten hinter der Berichterstattung und besonders den Schlagzeilen zurück. Dabei bedient sich besonders der Journalismus der selektiven Wahrnehmung.

Die Psychologie beschreibt die selektive Wahrnehmung als bewusste Ausblendung bestimmter Fakten zu Gunsten anderer Aspekte. In Publikationen führt dies zum Beispiel bei einem Artikel über die finanziellen Hilfen für Griechenland dazu, dass die mit den Zahlungen verbundenen Forderungen der Geldgeber von den Betroffenen als ungerechter empfunden werden, als die im selben Artikel erwähnten jahrzehntelangen Versäumnisse des Staats bei der Steuerpolitik. So können identische Berichte je nach Standpunkt als Lüge oder Wahrheit angesehen werden. Wenn über Jahre hinweg solche scheinbaren Tatsachen ohne kritische Prüfung übernommen werden, entsteht ein Bild von Menschen und Ländern, dass wie eine Schublade bei Gelegenheit geöffnet wird und schlicht zu einer großen Wahrheit wird. Doch was sind die Ursachen hierfür?

Die Kindheit prägt nicht nur die eigene Persönlichkeit, sondern ebenfalls unsere Fähigkeit Kritik zu üben und eigene Standpunkte sowohl zu begründen als auch zu vertreten. Ein Grund hierfür ist ein bedingungsloses Grundvertrauen, dass bereits Säuglinge in die Zuneigung ihrer Eltern entwickeln. Jedoch ist dieses Vertrauen nicht nur im Prinzip ziemlich leicht zu missbrauchen. Denn bereits in der frühsten Kindheit erfährt der Verstand eine Konditionierung, in der man aufgrund seiner Unmündigkeit gezwungen wird Standpunkte und Meinungen von Eltern und Erwachsenen als unumstößliche Instanzen zu akzeptieren und innerhalb deren Vorgaben zu agieren. Das so natürliche Warum und die vielen berechtigten Fragen von Kindern werden nicht unterstützt und gefördert, sondern im Laufe der Erziehung in ein Ja und ein einsichtiges Verständnis für den erfolgten Gehorsam verwandelt.

Diese erlernten Verhaltensgerüste und die damit verbundene Passivität dienen später als Fundament, wenn man sich außerhalb der Familie im gesellschaftlichen Umfeld bewegt. Auch hier werden staatliche Instanzen, sowie Vorschriften und Gesetzte nicht infrage gestellt, da diese ja demokratisch gewählt wurden und somit schließlich nichts anderes außer den Volkswillen widerspiegeln. Doch ist diese Passivität wirklich freiwillig und ist es eventuell möglich sie zu durchbrechen? Passiv zu sein ist nicht nur simpel, sondern überträgt gleichzeitig die Verantwortung für Vorgänge und Handlungen in andere Hände. Denn auch wenn die Lüge allen gehört, wird die Verantwortung dafür letztlich nur von Einzelnen getragen. Wer will sich schließlich in vorderster Front der Kritik aussetzen, wenn die gewählte Passivität einen komfortablen Abstand ermöglicht. Denn mit Blick auf den arabischen Frühling und ähnlichen Phänomenen wird deutlich, dass das aktive Vorgehen gegen Lügen und die eigene Unmündigkeit innerhalb der bestehenden Strukturen schwierig zu bewältigen ist.

Aktiv zu werden und Kritik zu äußern oder andere Standpunkte aufzuweisen, ist ohne die Erkenntnis der eigenen bisherigen Passivität also undenkbar. Ein kritisches Mitglied der Gesellschaft zu sein, erweist sich allerdings häufig als schwieriges Unterfangen. Menschen die Zweifel an offiziellen Darstellungen äußern, werden nicht selten als Spinner, Querulanten oder Verschwörungstheoretiker an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Denn normal und angepasst zu sein scheint unerlässlich, um nicht die eigenen Mauern und die der Gesellschaft ins Wanken zu bringen. Im Beispiel des Irakkrieges findet dazu eine Abwertung der Opfer statt. Aus dem Krieg gegen einen Diktator mit Massenvernichtungswaffen, wird ein Befreiungsschlag gegen gemeingefährliche Terroristen. Die zivilen Opfer sind dabei zu einer Randnotiz in den Nachrichten geworden und werden zu notwendigen Kollateralschäden, während die gefallenen US Soldaten eine Glorifizierung im Kampf um die zu verteidigende Freiheit erfahren. Doch was sind die physiologischen Ursachen dieses Handelns?

Den Verstand verstehen lernen

Wer an das Gehirn oder auch das Bewusstsein denkt, glaubt bestimmt an allen Entscheidungsprozessen direkt beteiligt zu sein. Jedoch ist das Bewusstsein paradoxerweise von unbewussten Entscheidungen geprägt. Dieses, unter dem Oberbegriff kognitive Verzerrung, vereinte Zusammenspiel zwischen Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen beschreibt die Handlungsweisen und Folgen dieser unbewussten Entscheidungen. Als wichtigster Aspekt dazu zählt die Tendenz zum Status Quo. Dieser eng mit der Politik- und Wirtschaftswissenschaft verknüpfte Ansatz besagt, dass der derzeitige Zustand gegenüber zu vermutenden Veränderungen deutlich bevorzugt wird. Im Zuge dieser Präferenz erfolgen unbewusste Beurteilungen, die sich zum Erhalt des Status Quo dienen. Was sich zuerst komplex anhört ist eigentlich ganz einfach, solange zum Beispiel eine Identifikation mit der Regierung und ihren Beschlüssen stattfindet, besteht kein Handlungsbedarf. Wenn sich allerdings etwa durch Lügen Regierungsmitglieder als unfähig erweisen wächst der Öffentliche Druck, da der Status Quo sich in Gefahr befindet. Als Beispiele der jüngeren Vergangenheit dürften die Rücktritte vieler Politiker nach gefälschten Doktorarbeiten genügen, welche plötzlich den gesellschaftlichen Maßstäben die die Gesellschaft an sie anlegt nicht mehr standhalten konnten.

Doch was ist wirklich für das Urteilsvermögen verantwortlich? Im besten Fall sollte es natürlich die Logik sein. Jedoch ist diese Logik nicht wie die Gene vererbbar, sondern wird antrainiert. Während offensichtliche Lügen wie die Erde ist eine Scheibe von jedem einigermaßen gebildeten Menschen leicht enttarnt werden können, fehlt vielen bezüglich des Finanzsektors, der Politik oder der Wirtschaft häufig das nötige Fachwissen um getroffene Aussagen richtig einordnen zu können. Hier setzt dann die Logik ein, die eine Aussage in ihren Kontext setzt. So setzten viele voraus, dass Banker und Politiker sich in ihrem Fachgebiet bestens auskennen und ihre Entscheidungen begründet treffen. Die Logik beginnt dann in Zusammenspiel mit der Erfahrung und dem Vertrauen die Aussagen zu verifizieren ohne ihren Wahrheitsgehalt wirklich überblicken zu können. Nicht nur die diversen Finanzkrisen weltweit haben dieses Vertrauen jedoch bereits erschüttert und die Fragen nach Veränderung und neuen Regelungen aufkommen lassen. Die Logik muss also erst erschüttert werden, um nicht nur die Aussagen dritter, sondern darüber hinaus die eigene Urteilsfähigkeit zu überprüfen. Doch ist dies der erste Schritt zur Wahrheit oder nur eine offene Tür für neue Lügen?

Den Mut zur Wahrheit wiederfinden

Wer glaubt, dass die pure Konfrontation mit der Wahrheit die Lösung aller Probleme darstellt, wird ein wahrscheinlich überraschendes Ergebnis erzielen. Denn wer sich in seinen Überzeugungen angegriffen fühlt wird eher auf Stur schalten, als sich auf einen Dialog einzulassen. Dieses Verhalten ist vergleichbar mit dem Gefühl des Unwohlseins, dass man in einem vollen Aufzug entwickelt. Denn wie man einem Menschen körperlich zu nahe kommen kann, ist dies auch geistig möglich. Wenn unsere Wahrheiten in Gefahr geraten, entwickeln Menschen Abwehrmechanismen um sich zu schützen. Dazu zählt zum Beispiel das selektive Erinnern. Hierbei gehen Psychologen nach wissenschaftlichen Untersuchungen davon aus, dass in einer Pro und Contra Situation die Argumente, welcher der eigenen Position nahestehen als besonders einleuchtend erscheinen, während Argumente für die Gegenposition eher abgelehnt werden. Diese Selbsttäuschung erfolgt in der Regel unbewusst und signalisiert wie gefestigt eine innere Position bereits ist und ein echter Meinungsbildungsprozess nicht mehr objektiv stattfinden kann.

Doch ein Gespräch mit diesen Personen ist keineswegs aussichtslos, wenn man ein paar Gesprächsregeln beachtet. Denn es ist keine Lösung auf fehlendes Verständnis mit Verständnislosigkeit zu reagieren. Da auf eine Lüge reinzufallen keinesfalls der Ausdruck mangelnder Intelligenz ist, sondern ein Zeichen für Vertrauen und einer Identifizierung mit dem scheinbar Guten und Gerechten. Dieses blinde Vertrauen kann man jedoch mit Geduld und Argumenten in einen echten Dialog verwandeln. Dabei ist es das Wichtigste Ruhe zu bewahren und Vorwürfe zu vermeiden, denn wer möchte schon gerne selbst wenn er im Unrecht ist von oben herab darauf hingewiesen werden. Des Weiteren empfiehlt es sich die Argumente für sich sprechen zu lassen und Ergebnisse nicht vorweg zu nehmen, denn eine selbstgewonnene Erkenntnis erhält automatisch einen ganz anderen Stellenwert.

Während die meisten Lügen viel Fantasie und ein gutes Gedächtnis erfordern, braucht die Wahrheit meist Mut. Diesen Mut in den Menschen zu wecken, sollte schon im Elternhaus beginnen, indem Kritik nicht negativ assoziiert wird, sondern als uneingeschränkte und unvoreingenommene Form der Willensbildung unterstützt. Denn wie schwer es Erwachsenen fällt bewährte Denkmuster zu hinterfragen und sich gegen die Masse zu stellen haben viele wohl schon am eigenen Leib erlebt. Da wider besseres Wissens die Wahrheit zu leugnen auch den passiven Leugner zu einem aktiven Lügner macht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert